Blaulicht in der Fußgängerzone, Notfallsanitäter kümmern sich um einen 50-jährigen, der über Herzprobleme klagt. Gleichzeitig benötigen sie eine Antwort auf die Frage, ob es sich um eine akute Herzrhythmusstörung handelt oder ob es ausreicht, den Betroffenen bis zur Ankunft im Krankenhaus zu überwachen. Liefern muss diese Antwort ein Notarzt. Bisher führte in diesen Fällen auch für ihn kein Weg an einem Einsatz vor Ort vorbei, absehbar wird es dafür bei uns im Bergischen Land aber eine digitalisierte Alternative geben.
„Der Fachbegriff lautet ‚Telenotarzt‘, praktisch heißt das: Ein erfahrener Notfallmediziner verfolgt den Einsatz per Videoschalte in einer Leitstelle, steht in Kontakt mit den Notfallsanitätern und hat auf einem seiner insgesamt fünf Monitore die Vitalparameter des Patienten im Blick. All dies macht es ihm möglich, notwendige Entscheidungen zu treffen und Behandlungen zu veranlassen“, so skizziert Kai Pohl, ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes im EN-Kreis, das neue Modell.
Die Grundlage hierfür liefert die „öffentlich-rechtliche Vereinbarung zur Bildung eines Telenotarztsystems Bergisches Land“. Diese ist jetzt von den Oberbürgermeistern Tim Kurzbach (Solingen) und Burkhard Mast-Weisz (Remscheid) sowie – als Vertreter ihrer Städte – von Matthias Nocke (Wuppertal) und Hermann Greven (Leverkusen) sowie von EN-Landrat Olaf Schade und seinem Amtskollegen Thomas Hendele (Kreis Mettmann) unterzeichnet worden.
Klare gesundheitliche Mehrwerte
„Unsere Unterschriften besiegeln das, was Beteiligte aus allen Verwaltungen in fünf Arbeitsgruppen entwickelt haben. Ohne Frage ist die Vereinbarung ein bisher einmaliges Gemeinschaftsprojekt im bergischen Raum. Das System selbst, das als Ergänzung zu sehen ist, ist zukunftsweisend. Mit dem Plus an Effizienz und dem Rückgriff auf technische Möglichkeiten sind klare gesundheitliche Mehrwerte für Bürgerinnen und Bürger verbunden“, macht Olaf Schade deutlich.
Bevor sie Realität werden, muss die Vereinbarung der Kommunalaufsicht der Bezirksregierung Düsseldorf vorgelegt werden, anschließend stehen Ausschreibung und Einführung auf dem Programm. Auch wenn dieser Fahrplan klare zeitliche Angaben für den Startschuss unmöglich macht, wissen die Beteiligten, wie das Modell funktionieren soll.
Virtuelle Begleitung bis ins Krankenhaus
Ein erfahrener und für diese Aufgabe besonders qualifizierter Notarzt ist in einer Leitstelle – zunächst in Leverkusen und im Kreis Mettmann, später auch im Ennepe-Ruhr-Kreis und in Wuppertal – im Einsatz. Er hat Zugriff auf die von den Notfallsanitätern erhobenen Werte wie EKG, Puls, Blutdruck oder Sauerstoffgehalt im Blut und kann über eine im Rettungswagen installierte Kamera verfolgen, ob und wie der Patient reagiert und ihn virtuell bis ins Krankenhaus begleiten.
„Bereits vor dem Eintreffen des alarmierten Notarztes kann so vor Ort mehr gemacht werden. Ein Beispiel hierfür ist die Gabe von bestimmten Medikamenten, die einem Arztvorbehalt unterliegen. Zusätzlich verfügen wir über einen direkten Kanal zur Rücksprache sowie kollegialen Beratung, auch ein Notarzt vor Ort kann sich mit einem weiteren erfahrenen ärztlichen Kollegen abstimmen“, erläutert der Leiter des Kreis-Rettungsdienstes Ennepe-Ruhr, Kai Pohl. Zudem könne eine Videoschalte die Anfahrt eines Notarztes in manchen Fällen auch komplett ersetzen, dieser stünde dann für andere Notfälle zur Verfügung.
Stichwort Telenotarztsystem
Das Telenotarztsystem ist bereits an verschiedenen Standorten in Deutschland etabliert. Dabei hat sich gezeigt, dass es sich um eine leistungsfähige Ergänzung des bestehenden Rettungssystems handelt. Das NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat 2020 die flächendeckende Einführung des Telenotarztsystems in Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht. Im Dezember 2021 bewilligte das Ministerium den Antrag des Ennepe-Ruhr-Kreises, des Kreises Mettmann sowie der Städte Leverkusen, Solingen, Wuppertal und Remscheid, ein solches System gemeinsam zu entwickeln.