Ein Kommentar von Manfred Alberti
Und wieder einmal darf sich die Beratungsindustrie über einen Auftrag für zig oder hunderttausend Euro freuen. Die Bürgerbeteiligung in Wuppertal soll „evaluiert“, also ihre Wirksamkeit soll bewertet werden.
Da stellt sich dem Bürger die zentrale Frage: Wo gibt es Bürgerbeteiligung in Wuppertal?
Bei der 150 Mio. teuren BUGA ist jede Bürgerbeteiligung unerwünscht, öffentliche Diskussionen darüber gibt es nicht und Kritisches wird nicht beantwortet. Zu offensichtlich war bei dem Bürgerentscheid 2022 die BUGA-Ablehnung von mehr als 80 Prozent der Wuppertaler Wahlberechtigten durch Ihre Nein – Stimme oder durch ihre Nichtteilnahme. Der OB zieht seine BUGA so durch, solange die Parteien sich nicht auf ihren Auftrag zur Bürgervertretung besinnen.
Das Wuppertaler Verständnis von echter Bürgerbeteiligung bedeutet z.B., dass die beim „Bürgerbudget“ teilnehmenden Bürger in einem sehr aufwändigen Prozess über gerade einmal 0,3 Prozent des frei zur Verfügung stehenden Stadtetats von 70 Mio. € abstimmen können: über 220 000 €! Diese Bürgerbeteiligung wird dann zum mehrere Monate dauernden Pressethema, aber das Ergebnis ist sehr minimal: Hier wird eine Spielplatzsanierung vorgezogen, dort eine halbe Stelle finanziert etc.
In Wuppertal ist das Projekt „Bürgerbeteiligung“ ein teures greenwashing – Projekt, um Bürger zu beruhigen und ihnen auch in der Zwischenzeit zwischen den Kommunalwahlen vorzugaukeln, dass sie Einfluss nehmen könnten.
Eigentlich ist die Beteiligung der Bürger an wichtigen Entscheidungen gesetzlich geregelt. Nicht nur im Rahmen von Planfeststellungsverfahren sind die betroffenen Bürger anzuhören, sondern nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz NRW VwVfG § 25 Abs.3 müssen bei großen Projekten die betroffenen Bürger schon ganz am Anfang informiert und angehört werden. Ist dieses NRW-Gesetz Wuppertaler Regel? Bei dem 150 Mio. € Projekt BUGA sicher nicht.
Wenn jetzt die „Bürgerbeteiligung“ evaluiert, also überprüft wird, sollte man sich auch an frühere Desaster solcher Projekte erinnern.
Bei der Diskussion 2016 zur Seilbahn nach Küllenhahn sollten die 1000 betroffenen Bürger, die unter der Seilbahn leben müssten, möglichst wenig ablehnenden Einfluss ausüben können. Damit das nicht so auffällt, haben (auch Wuppertaler) Wissenschaftler die Methode „Bürgerrat“ entwickelt, die die Teilnahme der Betroffenen aushebelt, aber als „demokratische“ Methode in der Öffentlichkeit sehr gut ankommt. Für einen „Bürgerrat“ werden 50 oder bei bundesweiten Projekten 150 Bürger ausgelost. Das klingt zwar sehr demokratisch, aber es dient vor allem dazu, die direkt Betroffenen, engagierte Experten oder Bürgerinitiativen von dem Diskussionsprozess weitgehend auszuschließen.
Die zufällig ausgelosten Bürger, meist ohne jede Ahnung von diesem Projekt, werden von ausgewählten Experten über das Projekt informiert, wobei 2016 auch die Seilbahngegner in den vier Informationstagen sogar zwanzig Minuten lang (!) Redezeit plus zehn Minuten Diskussion zugestanden bekamen. Der Bürgerrat soll sich so, stellvertretend für die gesamte Bürgerschaft, ein Urteil bilden und ein Bürgergutachten oder Empfehlungen zu dem Projekt formulieren.
Wie leicht dabei ein Bürgerrat von den Projektakteuren zugunsten ihrer eigenen Interessen manipuliert werden kann, zeigte sich auch 2016 bei dem Seilbahn – Bürgerrat, als man wegen des unerwarteten Gegenwindes plötzlich die Zielaufgabe des Bürgerrates in „Fortsetzung der Planung“ statt „Beschluss zum Bauen der Seilbahn“ änderte, aber trotzdem etliche ausgeloste Beteiligte sich genötigt sahen, sich nachher in Leserbriefen von den veröffentlichten Ergebnissen zu distanzieren. 2019 wurde die Seilbahn bei einem Ratsbürgerentscheid mit 62 Prozent der Stimmen abgelehnt.
Und wer denkt, dass es keine Manipulationsmöglichkeiten gäbe, wenn ein solcher Bürgerrat vom Bundestagspräsidenten einberufen wird, der wird durch den Bürgerrat 2020/21 „Deutschlands Rolle in der Welt“ eines Besseren belehrt. Die Teilnehmer sollten u.a. nachdenken, auf was sie in Deutschland besonders stolz seien. Nach dem, für was sie sich schämen, wurde aber nicht gefragt. Das daraus folgende Ergebnis des Bürgerrates überrascht nicht: Deutschland müsse eine führende Rolle in der Welt spielen, es müsse seine Vorstellungen massiv durchsetzen und dazu auch mit Sanktionen in den wirtschaftlichen Beziehungen arbeiten. Beim Gedanken an deutsche Überheblichkeit oder Arroganz, für die man sich schäme, wäre des Ergebnis des Bürgerrates wohl anders ausgefallen.
Von den Städten oder dem Bund geförderte Bürgerbeteiligung bedeutet heute leider nicht, dass die Bürgermeinungen ernster genommen werden sollen als bei einer Wahl alle vier oder fünf Jahre. Das Wort „Bürgerbeteiligung“ vernebelt, dass der Einfluss der Bürger möglichst begrenzt werden soll. Bürger sollen die Entscheidungen der Politiker oder der Verwaltung besser akzeptieren, aber nicht durch ihre Stimme oder Meinung Einfluss nehmen.
Bürgerbeteiligung und Bürgerräte sind inzwischen ein viele Millionen Euro teures Geschäft für darauf spezialisierte Beratungsfirmen. Aber Städte und der Staat leisten sich diese Investitionen, damit sich die Bürger nicht über ihren mangelnden Einfluss beklagen.
Wer an der momentanen online – Befragung zur Evaluation der Wuppertaler Bürgerbeteiligung teilnimmt, der kann sich über einen sehr plumpen Manipulationsversuch nur wundern: Bei der Frage, welche zukünftigen Beteiligungen man sich wünscht, gibt es acht vorgegebene Antwortmöglichkeiten. Die Antwort „Bürgerräte“ ist davon als einzige unterstrichen (aufgerufen 04.02.2024). Ob da jemand einen nächsten Wuppertaler Auftrag im Blick hat? Für wie dumm und manipulierbar hält man uns Bürger eigentlich?
Heutige Bürgerbeteiligung bedeutet nur, dass Bürger getroffene Entscheidungen akzeptieren sollen und engagiert umsetzen, aber Bürgerbeteiligung bedeutet leider nicht, dass die Bürger im Vorfeld von Entscheidungen mit ihrem Wissen, ihrer Kritik, ihrem Rat oder ihren Wünschen einbezogen werden.
Manfred Alberti