Ein Leserkommentar von Drill Hugo. Du möchtest uns auch einen Kommentar zusenden? [email protected]
Virologe Alexander Kekulé bezog in einem Interview auf t-online am 8. September klar Stellung zu 2G bzw. 3G: „Die Tests sollten meines Erachtens auch kostenlos bleiben. Menschen mit einem intensiven Sozialleben wird es ohnehin früher oder später auf die Nerven gehen, sich täglich testen zu lassen. Diejenigen, die trotz allem keine Impfung wollen, müssen jederzeit und gratis Zugang zu den Tests haben, sonst erkennen wir die Infektionen nicht mehr. Dies ist übrigens auch einer der Gründe, warum ich die in Hamburg eingeführte 2G-Regel nicht für sinnvoll halte.“
Nachdem der Krisenstab der Stadt Wuppertal angeküdigt hat, in Wuppertal die „2G“-Regel einführen zu wollen, wurde das Thema auf w-total bereits mehrfach diskutiert. Auffällig ist hierbei nicht nur, dass, vor allem in den Leser-Kommentaren, regelmäßig Fake-News über das Virus und die Impfungen verbreitet werden und immer wieder behauptet wird, die wissenschaftlichen Erkenntnis wären belanglos und würden niemanden interessieren oder würden nur Verwirrung stiften, sondern auch, dass sich Hasskommentare häufen und gezielt eine Spaltung der Gesellschaft gefordert wird. In oben genanntem Interview kritisiert Prof. Kekulé in diesem Zusamenhang auch deutlich das Verhalten der Bundesregierung und des RKI: „Neben der vielbeschworenen Welle der Ungeimpften gibt es auch eine unsichtbare Welle der Geimpften. Die Bundesregierung und ihre Berater sollten klar kommunizieren: Ohne Maske und Abstand können sich auch Geimpfte mit dem Coronavirus anstecken. Die amerikanische Seuchenschutzbehörde hat das erkannt und empfiehlt jetzt auch eine Maskenpflicht für Geimpfte.
Zu behaupten, Geimpfte spielten für die Entwicklung der Pandemie keine Rolle mehr, wie dies vom Robert Koch-Institut verbreitet wird, ist einfach falsch.“
Die Bundesregierung hat die Bürger mit dem vorschnellen Versprechen der „Freiheit“ von pandemiebedingten Beschränkungen zur Impfung zu „locken“ versucht und hat nun Angst, den Menschen die Wahrheit zu sagen, dass dieses Versprechen im vor uns liegenden Winterhalbjahr nicht wird eingehalten werden können.
Für alle, denen wichtig ist und bleibt, dass politische Entscheidungen zur Bekämpfung der Pandemie wissenschaftsbasiert sein und Aussicht auf Erfolg haben sollten, lohnt sich ein Blick über den Atlantik zu genau den Erkenntnissen der US-amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC, die Prof. Kekulé in diesem Interview anspricht.
Die Washington Post berichtete bereits am 29. Juli 2021 über ein internes Papier der CDC, in welchem diese die Delta-Variante von SARS-CoV-2 im Vergleich zum Wildtyp als praktisch völlig neues Virus charakterisiere und schlussfolgert, „dass sich der Krieg verändert hat“, sprich, die Strategien im Kampf gegen die Pandemie grundlegend überdacht werden und die Kommunikation der Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus sich ändern müssten.
Laut dieses Artikels der Washington Post schreibt die CDC in diesem internen Papier, dass die Delta-Variante als aktuell vorherrschende Variante „schwerere Krankheiten zu verursachen scheint als frühere Varianten“ und dass sie „schneller von Ziel zu Ziel springt als Ebola oder die Erkältung.“ Der Bericht „zitiert eine Kombination aus kürzlich erhaltenen, noch unveröffentlichten Daten aus Ausbruchsuntersuchungen und externen Studien, die zeigen, dass mit Delta infizierte geimpfte Personen das Virus möglicherweise genauso leicht übertragen können wie ungeimpfte. Mit Delta infizierte Geimpfte haben eine messbare Viruslast ähnlich derjenigen, die nicht geimpft und mit der Variante infiziert sind.“ Die CDC sagt, „dass bei älteren Altersgruppen im Vergleich zu jüngeren Menschen ein höheres Risiko für Krankenhausaufenthalte und Todesfälle besteht, unabhängig vom Impfstatus“ und „dass es bei 162 Millionen geimpften Amerikanern pro Woche 35.000 symptomatische Infektionen gibt.“
In dem Artikel ist ferner zu lesen: „Das Dokument … weist darauf hin, dass das öffentliche Vertrauen in Impfstoffe untergraben werden kann, wenn Menschen schwerwiegende Fälle (von Impfdurchbrüchen, d.V.) erleben oder davon erfahren, insbesondere, nachdem Beamte des öffentlichen Gesundheitswesens diese als selten beschrieben haben. Matthew Seeger, Experte für Risikokommunikation an der Wayne State University in Detroit, sagte, eine mangelhafte Kommunikation über Durchbruchinfektionen habe sich als problematisch erwiesen. Da Beamte des öffentlichen Gesundheitswesens die große Wirksamkeit der Impfstoffe betont hatten, könne sich die Erkenntnis, dass sie nicht perfekt sind, wie ein Verrat anfühlen. „Wir haben großartige Arbeit geleistet, um der Öffentlichkeit zu sagen, dass es sich um Wunderimpfstoffe handelt“, sagte Seeger. „Wir sind wahrscheinlich ein wenig in die Falle der Überberuhigung getappt.“ Die Fälle von Impfdurchbrüchen „werden wahrscheinlich im Verhältnis aller Fälle steigen, da jetzt so viel mehr Menschen geimpft sind. Dies spiegeln Daten aus Studien in anderen Ländern wider, einschließlich des hochgeimpften Singapur, wo Berichten zufolge 75 Prozent der Neuinfektionen bei teilweise und vollständig geimpften Personen auftreten.“
Jeffrey Shaman, ein Epidemiologe der Columbia University, wird zitiert: „Ich denke, das zentrale Problem ist, dass geimpfte Menschen wahrscheinlich in erheblichem Maße an der Übertragung von Delta beteiligt sind.
In gewisser Weise geht es beim Impfen jetzt um persönlichen Schutz – um sich vor schweren Krankheiten zu schützen. Die Herdenimmunität ist nicht relevant, da wir viele Hinweise auf Wiederholungs- und Durchbruchinfektionen sehen.
Das Dokument unterstreicht, was Wissenschaftler und Experten seit Monaten sagen: Es ist an der Zeit, die Denkweise der Menschen über die Pandemie zu ändern.“
Der Artikel schließt mit einem Zitat von Kathleen Neuzil, einer Impfstoffexpertin an der University of Maryland School of Medicine: „Wir müssen uns wirklich auf das Ziel konzentrieren, schwere Krankheiten und Behinderungen und medizinische Folgen zu verhindern, und uns nicht um jedes Virus kümmern, das in der Nase von jemandem entdeckt wird. Es ist schwer, aber ich denke, wir müssen uns damit abfinden, dass das Coronavirus nicht verschwindet.“
Der komplette Artikel ist auf der Homepage der Washington Post unter dem Titel: „CDC reversal on indoor masking prompts experts to ask, ‘Where’s the data?’“ öffentlich verfügbar.
Angesichts der Tatsache, dass diese Erkenntnisse schon seit eineinhalb Monaten in den USA öffentlich publiziert und diskutiert werden, erscheint die aktuelle Debatte in Deutschland und in Wuppertal über „2G“ komplett aus der Zeit gefallen, wie auch die noch häufig vorgetragene Argumentation, wir müssten alle Anstrengungen unternehmen, die sog. Herdenimmunität zu erreichen. Viele Impfskeptiker haben sich u.a. vermutlich deswegen bis heute (noch) nicht für die eigene Impfung entschieden, weil sie den Eindruck haben, in Deutschland von Wissenschaftlern, Politikern und Medien über die Impfung belogen zu werden. Mehr Wahrhaftigkeit und Realismus in der Debatte und eine größere Bereitschaft der politisch Verantwortlichen, sich wissenschaftsbasiert mit den tatsächlichen Erfordernissen der Pandemiebekämpfung auseinanderzusetzen würden der lahmenden Impfkampagne vermutlich mehr erneuten Schwung verleihen als die Forderung nach 2G und eine Politik der sozialen Ausgrenzung unter offensichtlich falschen und fadenscheinigen Begründungen.
Prof. Kekulés Bewertung von 2G und einer immer wieder diskutierten Impfpflicht lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig: „Wir würden damit eine Spaltung der Gesellschaft riskieren, und die können wir in der Pandemie am wenigsten gebrauchen.“